Eine Reise in die Vergangenheit - Teil 1In der Zeit der Weimarer Republik hat das naturalistische Theater seine hohe Zeit. Das Theater des Naturalismus bestand nicht mehr allein in der oberflächlichen Unterhaltung der Zuschauer. Es setzte sich vielmehr in scharfer Opposition gegen die seichte Unterhaltung falschen, erstarrten Historismus....
17.07.2010
Eine Reise in die Vergangenheit - Teil 1
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Der erste Kontakt - sieht doch gut aus!
In der Zeit der Weimarer Republik hat das naturalistische Theater seine hohe Zeit. Das Theater des Naturalismus bestand nicht mehr allein in der oberflächlichen Unterhaltung der Zuschauer. Es setzte sich vielmehr in scharfer Opposition gegen die seichte Unterhaltung falschen, erstarrten Historismus. Bühnenbild und Kostüm wurden bis ins Detail der Wirklichkeit nachgestellt. Künstler und Ingenieure, Techniker und Mechaniker arbeiteten mit Enthusiasmus an der Herausforderung, die Theater zu modernisieren. Der Rundhorizont trat seinen Weg in die Theater an. Eine Vielzahl von Geräten wurde entwickelt, um eine detaillierte Beleuchtung zu ermöglichen. Der Dresdner Glasmaler und Unternehmer Hugo Bähr entwickelte die ersten Projektionscheiben, Effektgeräte und Regulierapparate für langsame Lichtübergänge. In Deutschland entstanden viele Unternehmen, die sich mit der Entwicklung und Vermarktung neuer Produkte beschäftigten.

Diese Technik war teuer, oft tausende Mark und die Zeit war eine Komplizierte. Investitionen für ein Stadttheater umzusetzen bedeutete auch damals, in den Krisenjahren der Weimarer Republik, in der Zeit der Hyperinflation, politische Größe. Der 1. Weltkrieg hatte dem deutschen Volk schwere ökonomische und soziale Lasten aufgebürdet. So ist 1921 die Entscheidung in Plauen, der Empfehlung des Technischen Direktors der Semper Oper, Max Hasait, zu entsprechen, einen Rundhorizont mit elektrischem Antrieb und einen Wolkenapparat anzuschaffen, sicherlich nicht einfach gewesen.

Das Plauener Bildungsbürgertum hatte sich für sein Stadttheater entschieden. Im Sommer des Jahres 1922 wird ein Wolkenapparat angeschafft.
Ein "Multifunktionsscheinwerfer" der ersten Generation.
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Die Ansteuerung.
Im Mai des Jahres 2008 steht dieser Wolkenapparat bei uns, der Theater-Architekturlicht Chemnitz GmbH: Ein Scheinwerfer, ein "Multifunktionsscheinwerfer" der wirklich ersten Generation. Ein Projektionsscheinwerfer, bestückt mit einem Leuchtmittel, 20 einzelnen Optiken, die wiederum das Abbild über 20 Projektionsumlenkspiegel auf den Rundhorizont projizieren. Zwei Getriebeebenen kippen und neigen die Spiegel so, dass ein realistischer Wolkenzug dargestellt wird. Mindesten 86 Jahre alt und unverpackt steht er auf dem Hof. Dazu eine große Holzkiste, die zugeschraubt ist ? und eine Marmortafel mit den Regel- und Bedieneinheiten.

Diesem Tag sind viele Gespräche mit der Technischen Leitung des Plauener Theaters und dem Beleuchtungsmeister vorangegangen. Eine erste Besichtigung lässt uns zu der Einschätzung kommen: Zustand befriedigend ? eine Einschätzung, die wir bei den weiteren Arbeiten noch revidieren werden?. Beruhigend ist allerdings, dass alle mechanischen Teile des Wolkenapparates vorhanden sind. In der Kiste sind Projektionsobjektive und Umlenkspiegel eingepackt.

Selbst die Projektionsplatten sind vorhanden. Lediglich eine Kiste mit Schrauben scheint im Laufe der Jahre abhanden gekommen zu sein. Technische Unterlagen gibt es leider nicht und sind auch nicht mehr auffindbar. Alle ausgelagerten Unterlagen, so der Technische Direktor des Theaters Plauen-Zwickau, Andreas Krötzsch, sind bereits vor Jahren vernichtet worden.
Ein Apparat, den viele kopfschüttelnd betrachten, ehrfürchtig die Hände hebend
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"Moderne Bühnenbeleuchtung" von Schwabe & Co, Berlin SO.16 1910
Die Zeit der Recherchen beginnt. Wir kontaktieren das Deutsche Museum in München und erhalten prompt eine Kopie des Buches "Moderne Bühnenbeleuchtung 1910" mit Beschreibung des Wolkenapparates der Firma Schwabe & Co Berlin. Herr Gahs, Beleuchtungsmeister der Theater Plauen - Zwickau, reist nach Berlin und versucht in den Archiven der BTR Unterlagen zu finden. Wir finden vieles zu Firmen die keiner mehr kennt, aber auch vieles zu der Firma Schwabe & Co, die 1931 in die Firma Reiche und Vogel überging. Der Kontakt zu Reiche und Vogel bringt uns leider nicht weiter. Der 2. Weltkrieg hat die Unterlagen dieser Zeit vernichtet. Im Archiv der Oper Leipzig finden wir nur Geräte und Unterlagen, die jünger sind. Wir haben einen Apparat, den viele kopfschüttelnd betrachten und ehrfürchtig die Hände heben.

Das Ergebnis unserer Recherchen ist, dass wir leider nichts konkretes zu diesem, unserem Gerät finden können. Wir sind in unserer täglichen Arbeit ständig mit hochkomplexen Scheinwerfersystemen beschäftigt. Die notwendigen Arbeiten am Wolkenapparat erfordern aber zusätzliches Wissen und den Erfahrungsaustausch mit anderen Technikern. Der direkte Kontakt mit dem Industriemuseum Chemnitz, dem leitenden Restaurator Tim Lücke, hilft uns weiter.
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Friedrich Kranich "Bühnentechnik der Gegenwart", Zweiter Band (1933); Schwabe & Co. "Wolkengeräte nach Strahlwerferart"
Im Ergebnis der Gespräche beschließen wir, in zwei Etappen vorzugehen. Der Wolkenapparat wird auseinander genommen; wir werden die Korrosion stoppen und die fast 90 - jährige Patina erhalten. Ziel ist es, die teils stark angegriffenen Lackschichten, derer es viele gibt, nicht weiter zu zerstören, sondern zu stabilisieren. Der Wolkenapparat soll kein überrekonstruiertes Ausstellungsstück werden. Er soll ein authentischer Zeitzeuge bleiben.

Erst in einer zweiten Phase soll die Rekonstruktion der Elektrik erfolgen - sofern wir die finanziellen Mittel dafür aufbringen können.

(Fortsetzung in Teil 2)